Heimatpfleger Edmund Heide erzählt von der Entwicklung des am Reißbrett geplanten Stadtteils
Besser als Edmund Heide kennt niemand die Weststadt. Anlässlich ihres 60-jährigen Bestehens sprechen wir mit ihm über Entstehung, Gegenwart und Zukunft von Braunschweigs drittgrößtem Stadtteil, der auch einer der wichtigsten Standorte unserer Baugenossenschaft ist. Der frühere Realschullehrer ist seit 25 Jahren Heimatpfleger der Weststadt und hat unter anderem die Bücher „Braunschweig Weststadt – ein Porträt“ (2000) und „Ein Stadtteil stellt sich vor“ (2010) sowie mehrere Broschüren und unzählige Artikel veröffentlicht.
Herr Heide, mit 60 Jahren ist die Weststadt aus den Kinderschuhen heraus. Wie beurteilen Sie die Entwicklung?
15 Jahre nach Kriegsende war die Beschaffung von Wohnraum kommunalpolitische Hauptaufgabe der Stadt Braunschweig. Der ursprüngliche städtebauliche Entwurf orientierte sich am Leitbild des gegliederten und aufgelockerten Stadtteils, wobei jede der fünf Nachbarschaften eigene Versorgungseinrichtungen haben sollte. Die Absicht der Stadtplaner, einen bevölkerungsreichen Stadtbezirk im Grünen zu schaffen, ist weitgehend gelungen, wenn auch das Gesamtkonzept sowie die eintönige Fassadengestaltung nicht kritiklos blieben. Es war anfangs nicht einfach, für eine Identifikation der neuen Bürgerinnen und Bürger mit ihrem Stadtteil zu sorgen. Die Weststadt war das größte Neubauprojekt in der Region zwischen Harz und Heide. Aber heute ist aus dem Aufeinandertreffen unterschiedlichster Herkunften ein Gemeinschaft der Weststädter entstanden.
Was hat dazu geführt, dass der Wohlfühlfaktor im Stadtteil hoch ist?
Seit Bestehen der Weststadt war die Zusammenarbeit verschiedener Einrichtungen eine Notwendigkeit. Doch erst in den 1990er Jahren bildeten sich einige Vereine wie der Bürgerverein. Danach auch die Arbeitsgemeinschaft Weststadt (AGeWe) im Jahr 2000. Stadt, Politik, Kirche, Wohnungswirtschaft, Schule und Ehrenamt ziehen seither an einem Strang. Vor etwa zehn Jahren haben die Baugesellschaften begonnen, die Häuser zu sanieren. Eine erhebliche Verbesserung der Wohnqualität und des Wohnumfeldes sind dadurch zu verzeichnen. Es wird investiert, verändert und weiterentwickelt. Es wird sich um die Bürgerinnen und Bürger der Weststadt gekümmert.
Wo lag anfangs das Problem der Weststadt?
Da bei der Gründung der Weststadt 1960 die finanziellen Mittel für bestimmte Wohneinheiten zweckgebunden waren, kamen als Mieter nur spezielle Personenkreise in Frage. Dadurch wurde die Sozialstruktur ganzer Wohnblocks auf dem Reißbrett entschieden. Die ersten Mieter waren vor allem Flüchtlinge aus osteuropäischen Ländern, insbesondere Polen. Bereits 1975 lebten 16.000 Menschen in der Weststadt. Heute sind es rund 24.000. Es gab und konnte keine gewachsenen Strukturen geben wie in anderen Stadtteilen, teilweise ja mit dörflichem Charakter. Die Umbenennung der fünf Viertel nach einer Bürgerbefragung 2010 in Isar-, Elbe-, Rhein-, Ems- und Donauviertel hat die Identifikation vereinfacht. Die Initiative ging damals maßgeblich von den Wohnungsunternehmen aus.
Wie sehen Sie die heutige Infrastruktur in der Weststadt?
Die Nahversorgung im Stadtteil, aber auch in den einzelnen Nachbarschaften, ist heute ausgezeichnet, vor allem für Familien mit Kindern. Das war nicht immer so. In den 1960er Jahren ging es vor allem darum, schnell Wohnraum zu schaffen. Die Befriedigung der Alltagsbedürfnisse der neuen Bürger kam da nicht nach. Erst 1974 schloss vor allem das Einkaufszentrum Elbestraße diese Lücke. Die Situation wird sich in naher Zukunft weiter verbessern, wenn ein neuer Lebensmittelmarkt an der Kreuzung Elbestraße/Rheinring eröffnet wird. Inzwischen fehlen insbesondere Parkplätze in der Nähe der Einkaufszeilen und der Märkte. Die Weststadt ist zwar durch Kleingärten, Grünanlagen und Gewerbegebiete von der Kernstadt getrennt, aber die Anbindung durch die Straßenbahnlinien 3 und 5 ist hervorragend.
Sie haben die Weststadt besonders familienfreundlich beschrieben. Welche Faktoren führen dazu?
Das Schulangebot ist ausgezeichnet. Es gibt gleich vier Grundschulen im Stadtteil, mit der Wilhelm-Bracke-Gesamtschule Braunschweigs erste IGS und die Freie Waldorfschule. Der seit 1980 bestehende Westpark bietet den Bürgern weitere Naherholungsräume. Manch gelungene verkehrsberuhigte Zone westlich der Elbestraße sorgte für mehr Wohnqualität. Die Weststadt bleibt nie, wie sie ist. Es verändert sich viel und das allermeiste zum Guten.
Wie wird es weitergehen mit der Weststadt?
Der Stadtteil wird weiter attraktiver. Bis 2023 wird der Verein „Stadtteilentwicklung Weststadt e.V.“ das Emsviertel mit nachhaltigen Entwicklungen intensiv fördern – ebenso wird der Nordosten des Stadtteils durch die öffentliche Förderung „Soziale Stadt – Donauviertel“ aufgewertet. Da saniert ja auch die ›Wiederaufbau‹ ihre Häuser im Quartier „An den Gärtnerhöfen“. Diese Maßnahmen werden das Erscheinungsbild weiter verbessern. Im Jahr 2020 werden insgesamt 220 Wohnungen am Alsterplatz auf dem Gelände der einstigen Gesamtschule fertig gestellt.