3 / 2020
Letzte Änderung:

Volkskrankheit Demenz

Tritt eine Demenz ein, ist eine Person krank, aber viele sind betroffen

In Deutschland leben schätzungsweise 1,6 Millionen Menschen mit einer Demenz. Bis zum Jahr 2050 wird die Zahl der Betroffenen laut Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend voraussichtlich auf 2,7 Millionen steigen.

Viele Erkrankte leben oft in privaten Haushalten und werden zumeist von nahen Angehörigen betreut und gepflegt.

Häufig gehen Angehörige bei der Pflege bis an die Grenzen ihrer gesundheitlichen Belastbarkeit. Geduld ist gefragt, Toleranz und Einfühlungsvermögen. Viele wissen nichts von Entlastungsmöglichkeiten, die von der Pflegeversicherung finanziert werden.

Demenz ist nicht heilbar. Irgendwann kommt nahezu jeder pflegende Angehörige an den Punkt, an dem nichts mehr geht. Schlafentzug macht gereizt. Man fühlt sich ohnmächtig und außerstande, die Situation zu bewältigen. Als letzter Schritt bleibt oft nur das Heim. Doch wann ist der richtige Zeitpunkt dafür? Der Autor Michael Schmieder formuliert es drastisch: „Spätestens, wenn man sich wünscht, der andere möge endlich sterben, ist er gekommen.“

Der Autor ist Leiter einer Pflegeeinrichtung für Demenzkranke und beschreibt in seinem Buch „Dement, aber nicht bescheuert“ eine besondere Pflegephilosophie der Pflegeoasen. Er wendet sich ab von den Konzepten der herkömmlichen Altenheime und schafft eine Struktur, in der Chaos ermöglicht wird. „Das Verhalten der dementen Personen lässt sich nicht verändern, ändern lässt sich nur die Struktur“. In drei Wohnbereichen mit fließenden Übergängen sollen die Bewohner entsprechend ihrer Fähigkeiten angeregt, aber nicht überfordert werden. Schmieder vertritt den Grundsatz, demente Patienten nicht anzulügen und lehnt beispielsweise virtuelle Zugfahrten ab, wie sie in manchen Heimen durch nachgebaute Zugabteile möglich sind. Seine Devise: Die Würde der Demenzkranken ist unantastbar! So erwartet er von seinem Pflegepersonal eine aufrichtige Haltung gegenüber den Bewohnern und Freundlichkeit, die nicht diktiert werden muss, denn das spüren Demenzerkranke sofort.

Neue Erkenntnisse aus der Hirnforschung -

Wie es gelingen kann, die Selbstheilungskräfte des Gehirns rechtzeitig zu aktivieren

Neben den Überlegungen, welches Konzept für eine an Demenz erkrankte Person das wirkungsvollste ist, breitet sich mitunter in der Gesellschaft Angst vor dieser Krankheit aus. Demenz wirkt wie ein Schreckgespenst am Horizont. Was wird sein, wenn es mich erwischt und ich meine Kinder nicht mehr erkenne? Manch eine oder einer beugt vor und sagt jetzt, bei noch klarem Verstand zu den erwachsenen Kindern: „Wenn ich später dement sein sollte und euch nicht mehr erkenne, so sage ich es euch schon heute: ihr seid mein größtes Glück“. Nach Hirnforscher und Autor Gerald Hüther sollte sich keiner Sorgen machen, an Demenz zu erkranken. In seinem Buch „Raus aus der Demenzfalle“ beschreibt er, wie es gelingen kann, die Selbstheilungskräfte des Gehirns rechtzeitig zu aktivieren. Der menschliche Körper unterliegt einem Alterungsprozess. Dies trifft auf alle Organe zu, so auch auf das Gehirn. Allerdings ist das Gehirn in der Lage, die mit solchen Abbauprozessen einhergehenden Defizite zu kompensieren. Dazu bedarf es der Aktivierung des „neuroplastischen Potentials“, so Hüther.  Mit dieser Neuroplastizität gelingt es dem Gehirn, das an einigen Stellen geschrumpft und mit Plaques belagert ist, andere Gehirnareale zu aktivieren. Diese können dann die Funktion für den ausgefallenen Teil übernehmen.

Doch nur bei günstigen Bedingungen kann das Gehirn so flexibel reagieren

Eine in den USA über zwei Jahre durchgeführte Studie an weiblichen Ordensschwestern hat gezeigt, dass nur sehr wenige Nonnen an Demenz erkrankt waren. Dies, obwohl bei einer größeren Anzahl postmortal die typischen degenerativen Veränderungen des Gehirns, wie sie für eine Demenz üblich sind, nachgewiesen werden konnten.

Hüther argumentiert mit dem Prinzip der „Salutogenese“, was frei übersetzt etwa „Gesundheitsentstehung“ bedeutet. Diese besagt, dass der Mensch dann gesund ist, wenn er das Gefühl hat, dass er das, was in der Welt geschieht versteht. Zudem kann er das, was er verstanden hat, umsetzen und somit sein Leben selbst sinnvoll gestalten.

„Genau diese Freude an all dem, was sich in der Welt entdecken und gestalten lässt – egal, wie alt man schon geworden ist – ist das, was im Gehirn auch die Nervenenden wieder sprießen lässt“, so Hüther. Der Autor weiter: „[D]enn dieses Gefühl der Freude geht mit einer Aktivierung der im Mittelhirn liegenden emotionalen Zentren einher. Dadurch kommt es zur Freisetzung dieser besonderen neuroplastischen Botenstoffe und Wachstumshormone, die Nervenzellen dazu bringen, neue Fortsätze auszuwachsen, sowie neue Verbindungen untereinander zu knüpfen.“

Unser Gehirn will zu jeder Zeit, ähnlich unseren Muskeln, trainiert werden. Dazu brauchen wir ein gutes Maß an neuen Herausforderungen. Das entdecken neuer Hobbys beispielsweise, eine neue Sprache oder das Erlernen eines Instruments.

Sie können heute noch damit beginnen, die Selbstheilungskräfte ihres Gehirns zu stärken. Die Wenigsten können ihr Leben von Grund auf ändern, aber jeder Mensch kann sich zu jedem Zeitpunkt seines Lebens dafür entscheiden, fortan anders zu leben als bisher. Etwas bewusster vielleicht, etwas achtsamer gegenüber sich selbst und auch gegenüber anderen. Mehr im Einklang mit der Natur, zuversichtlicher und auch wieder etwas neugieriger. Hüther vermutet, dass die Häufigkeit dementieller Erkrankungen abnehmen wird, sobald es immer mehr Menschen, auch beim Älterwerden gelingt, ihr Leben und ihr Zusammenleben in der Gemeinschaft mit anderen in Harmonie mit den eigenen Gefühlen zu gestalten. (as)

Verständnisverlust – Tipps für Angehörige

  • Versuchen Sie nicht, den kranken Menschen mithilfe logischer Argumente von Ihrer Sicht der Dinge zu überzeugen.
  • Gehen Sie Streitereien oder Diskussionen aus dem Weg, indem Sie ihm entweder recht geben oder ihn ablenken.
  • Erwarten Sie nicht, dass er fähig ist, seine Handlungen zu erklären
  • Beseitigen Sie die Ursachen seiner Sorgen und Fehlinterpretationen wie etwa knackende Heizungsrohre.
  • Ist dies nicht möglich, versuchen Sie, ihn auf der Gefühlsebene zu beruhigen, etwa durch Argumente wie: "Ich verstehe, dass das Heulen des Windes dir Angst macht, aber ich passe auf, dass uns nichts passiert."
  • Suchen Sie selbst nach Ursachen, wenn der Erkrankte scheinbar grundlos beunruhigt oder verängstigt ist.

Entlastungsmöglichkeiten für pflegende Angehörige

Der WegweiserDemenz sowie die Deutsche Alzheimer Gesellschaft bieten angehörigen die nötigen Informationen, um sich auf den Krankheitsverlauf einzustellen, Strategien für den Alltag zu entwickeln, und zeigt Hilfsangebote auf:

·        Ambulante Pflegedienste,

·        Betreuungsgruppen,

·        Angehörigen- und Selbsthilfegruppen,

·        ehrenamtliche Helferinnen,

·        Tagespflegeeinrichtungen,

·        Kurzzeit- und Urlaubs- bzw. Verhinderungspflege,

·        betreuter Urlaub für Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen

·        u.a.m.

Pflegestützpunkte

Pflegeberatung erhalten Betroffene statt bei ihrer Pflegekasse auch bei einem Pflegestützpunkt. Dort arbeiten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Pflege- und Krankenkassen, der Altenhilfe oder der Sozialhilfeträger unter einem Dach zusammen. Wo sich der nächstgelegene Pflegestützpunkt befindet, kann über die Kranken- beziehungsweise Pflegeversicherung in Erfahrung gebracht werden.